Facts & Fiction

Einzug ins Grafensteiner Ländchen hielt die Eisenbahn relativ spät, als nämlich Veenhusen im Zuge des Ausbaus der Nebenbahnen im heutigen niedersächsisch-hessischen Grenzgebiet von Zitrushausen her 1882 erreicht wurde. Veenhusen ist eine Gründung friesischer Viehzüchter, die der Freiherr von Waitz in Grafenstein im 17. Jahrhundert ins Grafensteiner Ländchen geholt hatte. Die Nachkommen der fries. Viehzüchter hatten Veenhusen mittlerweile nicht nur zu einem –neben der Viehzucht- beachtlichen Standort von Mittel- und Kleinindustrie sowie Gewerbe gemacht, sondern hatten Veenhusen auch zu einem Hort von sowohl humanistischer als auch naturwissenschaftlicher Bildung gemacht: neben dem altsprachl. Gymnasium verfügte Veenhusen damals schon über eine Oberreal- sowie eine Gewerbeschule, deren Einzugsgebiet naturgemäß durch die Eisenbahn stark vergrößert wurden. Noch heute sorgen die Nachfolger dieser Bildungseinrichtungen vor allem in den Morgen- und Mittagsstunden auf Bf Veenhusen für heftigen Andrang im Personenverkehr.

Die Freiherren von Waitz gaben natürlich keine Ruhe, bis die preuß. Staatsbahn (KPEV) die Strecke dann 1888 bis nach Grafenstein selber verlängerte, das inzwischen –auf Grund seiner Heilquellen- von den Frh. von Waitz zum mondänen Kurbad ausgebaut worden war. Noch heute zeugen die Kuranlagen in Bad Grafenstein von einstiger Größe, obwohl der Ruhm etwas verblaßt ist, seitdem die von Waitz die Kuranlagen im Zuge der Weltwirtschaftskrise 1930 an das Land Preußen verkauften und Bad Grafenstein somit Staatsbad wurde.

Finanziert wurde die Entwicklung von Bad Grafenstein zum Kurort u.a. auch durch den gewinn-trächtigen Braunkohlenbergbau auf dem Hirschberg bei Epterode, an dem die Frh. von Waitz maßgeblich beteiligt waren. Es wurde daher bereits 1883 eine zunächst nichtöffentliche Anschlußbahn zur Zeche ‚Hischberg‘ gebaut, die anläßlich der Streckenverlängerung nach Bad Grafenstein vom preuß. Staat übernommen und ausgebaut wurde. Gleichzeitig wurde damit auch der Personenverkehr nach Epterode aufgenommen, der zwar nur zu Schichtwechselzeiten der Zeche nennenswerte -dann allerdings erhebliche- Ausmaße annimmt.

Die Strecke von Veenhusen nach Bad Grafenstein wurde Anfang des 20. Jahrhunderts nochmals über Bad Grafenstein hinaus als Mühlenrodaer Anschlussbahn verlängert, um die aufstrebende Industrie in Mühlenroda und die Weserumschlagsstelle an der Ziegelwiese anzuschließen; die Mühlenrodaer Anschlussbahn wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrfach erweitert, um mehrere öffentliche und nichtöffentliche Ladestellen an den Weserumschlag Ziegelwiesenkai anzubinden. Allerdings gab die Mühlenrodaer Anschlussbahn den stark defizitären Personenverkehr schon in den 30er Jahren auf. Von Bad Grafenstein bis einschließlich Ladestelle Ziegelwiesenkai wird heutzutage der Betrieb durch die DB geführt, der Rest des verbliebenen Netzes wird von der einzigen noch vorhanden Lok der Mühlenrodaer Anschlussbahn bedient. Größter Kunde ist z.Zt. das Asphaltmischwerk, hier erfolgt zentral für den Bezirk die Vorbereitung der Straßendeckenbaustoffe für die im Bau befindliche Bundesautobahn A7.Sowohl in Ganzzügen als auch in einzelnen Wagengruppen werden die Baustoffe daher von der DB nach Ziegelwiesenkai gebracht und von dort per Übergabe zugeführt.

Auf der anderen Seite des Hirschberges verlief die Entwicklung nicht grundsätzlich anders: als Folge des Gründerzeitbooms kam Mönchshof Mitte der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts zu seinem Bahnanschluß von Westenholz her, die Verlängerung der Linie nach Heiligenhafen folgte fast 10 Jahre später. Die Weigerung der KPEV, über die bestehenden Bahnlinien hinaus die über doch erhebliche Kleinindustrie verfügenden Seitentäler durch eine Normalspurbahn zu erschließen, führte letztendlich zum Bau der Bettenhausener Industriebahn (BIB), eines Betriebsverbundes mehrerer öffentlicher und nichtöffentlicher Kleinbahnen. Diese wurden als 750mm Schmalspurbahn von Bettenhausen über Melaune bis Schönheide Nord mit Ästen nach Sögel sowie Hohenheide ausgeführt. Auf Grund des hohen Güteraufkommens des Industriegebiets Bettengausen wurde der Abschnitt Bettenhausen (Awanst.) bis nach Zweiweichen später auf Normalspur umgebaut und die Rollbockanlage von Bettenhausen nach Zweiweichen verlagert.

Erst relativ spät, nämlich Anfang der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts erfolgte im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Lückenschluß zwischen Epterode und Mönchshof, der auch Albersdorf (hier besteht Anschluß zur Hümlinger Kreisbahn auf dem Bahnhofsvorplatz) endlich den so lange ersehnte Anschluß an die weite Welt des Schienenstranges brachte. Allerdings mußte dazu der Hirschberg nun nicht nur von Veenhusen sondern auch noch von der Mönchshofer Seite her erklommen werden, was dieser Verbindung auch den scherzhaften Beinamen „Hirschberger Semmering“ einbrachte. Daß diese Verbindung ursprünglich so nicht geplant war sondern erst später entstanden ist, kann man auch deutlich an der Streckenführung erkennen: wurde bereits mit dem Bau der Verbindung von Veenhusen nach Bad Grafenstein aus Sparsamkeitsgründen die Strecke nicht direkt in den Bahnhof eingefädelt, sondern schon vor dem Bahnhof in Voßbergen mittels Abzweigstelle an die bereits existierende Strecke nach Epterode angeschlossen, so wiederholte machte man diesen Fehler erneut, indem in Brunsrode-Flechtorf ebenfalls eine Abzweigstelle eingerichtet wurde. Diese –zunächst- sehr kostengünstige Lösung sollte sich später störend bemerkbar machen, den mit zunehmendem Verkehr sind sowohl in Mönchshof als auch in Veenhusen die Fahrdienstleiter (Fdl.) und Lokführer gefordert, wenn die entsprechenden Züge bei dichter Zugfolge die jeweiligen Engpässe zwischen Bahnhof und Abzweigstelle schnellstmöglich räumen müssen.

Die neue Bahnverbindung und die reichen Holzvorräte rund um den Hirschberg führten zur Ansiedlung der Papierfabrik N. Schoone&Cie, die über eine eigene Ausweichanschlußstelle zwischen Brunsrode-Flechtorf und Albersdorf mit mittlerweile erhebliche innerbetrieblichen Gleisanlagen verfügt. Außerdem orientierte sich der Absatz der Zeche ‚Hirschberg‘ auch mehr nach Norden, so daß heute zwar immer noch in Richtung Veenhusen abgefahren wird, aber immer mehr Wagenladungen nehmen ihren Weg über Mönchhof, das allerdings dadurch zusätzlich belastet wird. Denn Neben der Zeche in Epterode entwickelte sich die Papierfabrik mehr als erfreulich; dies ist deutlich an Bf Mönchshof abzulesen, dessen Gleisanlagen deshalb ab 1930 –soweit überhaupt noch möglich- um eine Abstellgruppe erweitert wurde, in der die von/für die Papierfabrik und die Zeche bestimmten Wagen(-gruppen) gesammelt und hinterstellt werden. Zu allem Überfluß hat sich durch den Bau der Bundesautobahn A7 ein reger Verkehr mit Zuschlagstoffen von der Bettenhausener Industriebahn zum zentralen Asphaltmischwerke entwickelt, der dem Fdl von Mönchshof schon einiges an Geschick in der Planung der Gleisbelegung in seinem Bahnhof abverlangt.

Die Zonengrenzziehung und die Spaltung Deutschlands nach 1945 löste eine starke Verschiebung der ursprünglichen Verkehrsströme von West-Ost- zur Nord-Süd-Orientierung aus. Die Strecke Hannover – Göttingen – Bebra – Fulda – Frankfurt/Würzburg war bald derart überlastet, daß nach entsprechenden Entlastungsstrecken gesucht wurde –selbst wenn dabei starke verlorene Steigungen und erhebliche Umwege in Kauf zu nehmen waren. Hier nun schlug die Stunde des „Hirschberger Semmerings“! Denn gegen die Cornberger Rampe der Nord-Süd-Strecke war die Verbindung Göttingen - Westenholz – Mönchshof – Veenhusen – Zitrushausen - Marburg – Gießen – Frankfurt geradezu ein Kinderspiel; zumindest wenn man von den in der Länge beschränkten Kreuzungsmöglichkeiten absah. Daher wurden bereits Mitte der 50er Jahre diese Strecke für eine max. Achsfahrmasse von 17,5 to verstärkt und die Bf. Albersdorf und Epterode mit Einfahrsignalen ausgestattet. Albersdorf bekam sogar jeweils ein Gruppenausfahrsignal für jede Richtung, da wegen des starken Wagenladungsverkehrs in Epterode von vornherein Zugkreuzungen bevorzugt in Albersdorf erfolgen sollten. Mit den Engpässen durch die Abzweigstellen sowohl in Mönchshof als auch in Veenhusen mußte man sich notgedrungen abfinden.

Diese Verbindung war und ist eine Herausforderung für alle Fdl., da oftmals die umgeleiteten Dg der Nord-Süd-Strecke nicht überall in die Kreuzungsgleise passen und damit eine gute Absprache zwischen den Fdl. mit gewissenhafter Vormeldung von Achsenzahl und Zuglast nötig ist, um einen reibungslosen Verkehr zu gewährleisten. Besonders die schweren Dg und E451/452 dürfen keinesfalls an den Epteroder Einfahrsignalen zum Stehen kommen, da ein Wiederanfahren in der Steigung ohne Nachschub nicht in jedem Fall möglich ist (siehe Betriebsabwicklung Bf Epterode)!

Soweit die Einführung, wir befinden uns im Sommer 1962 ...